Telematik-Infrastruktur (TI)

Ab 2019 ist sie Pflicht. Seit Juli 2018 haben wie sie. Gemeint ist die neue Telematik-Infrastruktur – eine weitere „Erleichterung“ im täglichen Praxisleben.

Regierung, Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung haben eigens dafür eine neue Arbeitsgruppe geschaffen (Gematik), die seit dem Jahre 2006 jährlich geschätzte 240 Millionen Euro „verbrät“.

Die Idee, die dahinter steckt, ist so einfach und genial wie blöd. Analog der elektronischen Akte in der Verwaltung (die auch dort bisher nur zu Chaos, Katastrophen und immensen Kosten führte (siehe Das Schwarzbuch 2017/18), ist man seit 2006 dabei, eine elektronische Gesundheitskarte zu entwickeln. Mittlerweile gibt es die Version 3, zu erkennen an einem kleinen „G3“ in der rechten oberen Ecke der Chipkarte. Geplant war, analog dem aus DDR-Zeiten bekannten SV-Ausweis darauf neben den persönlichen Daten auch wichtige Gesundheitsdaten wie Blutgruppe, chronische Krankheiten , Allergien usw. und Dauermedikamente zu speichern. Und es sollten sogar Rezepte darauf gespeichert werden können oder Überweisungen nebst Mitteilungen für den weiterbehandelnden Arzt. Theoretisch also eine sinnvolle Sache, um Bürokratie abzubauen und Papier einzusparen.

Praktisch funktioniert es schon deswegen nicht, weil erstens die nötige Hardware dafür nicht überall rechtzeitig existierte oder nicht zuverlässig funktionierte, zweitens eine ganze Armee von Datenschützern ständig wegen diesem und jenem und überhaupt erhebliche Bedenken anmeldet, drittens vieles zu umständlich und unausgegoren ist und viertens die gesamte Finanzierung nicht vernünftig geklärt ist. Und so ist es mit der TI wie mit vielen anderen Dingen auch: Es funktioniert halbherzig bis gar nicht, statt einfacher und leichter wird es komplizierter, und weil die Finanzierung ungeklärt ist, bleiben die Kosten wieder einmal bei denen, die den Ärger damit ohnehin schon haben und die das alles gar nicht wollten – die sog. Endanwender, also die Arztpraxen.

Was bedeutet das für uns und unsere Patienten? Der Arbeitsablauf wird nicht einfacher, sondern komplizierter. Aber: Alle erfahren eine gewisse „Entschleunigung“, weil alles deutlich langsamer geht. Also zumindest ein Vorteil, wenn auch so nicht gewollt.

Was passiert? Die Chipkarte wird ins Lesegerät gesteckt (Die Technik dafür wurde von uns bezahlt und zu etwa 80% von der Kassenärztlichen Vereinigung zurückerstattet, die laufenden Kosten muss die Praxis tragen), dann „ruft“ das Lesegerät bei der Krankenkasse an und fragt nach, ob die Karte überhaupt gültig ist, und erst nach erfolgreicher Bestätigung erfolgt im Computer die Freigabe und die Schwester an der Anmeldung ist überhaupt erst mal in der Lage, irgend etwas zu tun. Bis dahin ist einfach alles blockiert. Eine tolle Erleichterung, für das Personal und für die Patienten, ganz sicher aber für die Krankenkassen. StaSi lässt grüßen.

Aber was war eigentlich das ursprüngliche Ziel dieser Neuerung? Und spätestens hier zeigt sich ein grundlegendes Problem unserer Gesellschaft: Da gibt es Versprechen über Versprechen (nicht nur vor der Wahl), doch am Ende interessiert das keinen mehr. Hauptsache, man belegt seine Daseinsberechtigung und hat ein paar Dumme, die das alles bezahlen. Wie hieß es zu DDR-Zeiten? Keiner weiß bescheid, aber alle machen mit. Das ging schon mal in die Hosen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2022, doch grundlegende Änderungen gab es nicht. Die eAU – die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – ist seit dem 01. Juli verpflichtend eingeführt. Was heißt das konkret? Der Teil, den die Krankenkasse erhält, wird durch die Praxis elektronisch verschickt. Eine Erleichterung für die Krankenkassen. Alles andere bleibt, wie es war. Der Patient erhält eine ausgedruckte Kopie, der Arbeitgeber wird vom Patienten über die AU informiert und bekommt seinen Teil von der Krankenkasse übermittelt. Ist doch einfach, oder?

Es gibt noch ein Bonbon dazu, die ePA, die elektronische Patientenakte. Sie soll alle relevanten Daten über den Patienten (auch über Patientinnen, diverse und sonstige Inhaber einer Chipkarte) enthalten. Damit wäre sie eine Ergänzung/Erweiterung des schon länger verfügbaren Notfall-Datensatzes.

Der Unterschied wird bereits bei der Bezeichnung klar. Notfall-Datensatz: alle für den Notfall relevanten Daten, also wichtige Diagnosen, Medikamente, Allergien oder Unverträglichkeiten, Genussmittel und Co.                             Die ePA hingegen enthält quasi den gesamten medizinischen „Lebenslauf“ und geht damit weit über die Angaben im DDR-SV-Ausweis hinaus. Vorteil: Man hat immer seine komplette Krankenakte dabei, auch wenn man nicht zu Hause ist oder umzieht. Aber das war‘s dann auch schon.

Ansonsten gibt es eigentlich nur Probleme, Ungereimtheiten und No-Go‘s aufzuzählen: Da gibt es eine gewisse Population, Datenschützer genannt, … Da gibt es die Vorschrift, die zu speichernden Daten gemeinsam mit dem Patienten in einer ausführlichen Beratung und in Übereinstimmung mit diesem festzulegen. Das mag ja gut gemeint sein, aber was, wenn der Alkohol- oder Drogenabhängige genau das verschweigen will, obwohl das für die (Notfall)Behandlung absolut wichtig ist? Die Reihe ließe sich fortsetzen. Und dann: „ausführliche Beratung“ ist definiert mit mindestens 20 Minuten. Das dürfte in der Mehrzahl der Fälle nicht reichen, wenn vielleicht 20 oder 30 Jahre (oder gar noch mehr) Krankengeschichte aufzuarbeiten sind. Unnötig zu erwähnen, dass diese Leistung der Krankenkasse noch nicht einmal 10 € wert ist. Das liegt deutlich unter dem Mindestlohn.                                        Ein weiterer wichtiger Punkt: Die mobilen Kartenlesegeräte, die aktuell im Einsatz sind wie auch die meisten Praxisprogramme sind gar nicht in der Lage, die Daten auszulesen.

Seit diesen Zeilen sind zwei Jahre ins Land gegangen und ein Herr Lauterbach hat einen Herrn Spahn abgelöst. Wir haben das eRezept bekommen, davor schon die eAU, und in Kürze wird die ePA (elektronische Patientenakte) verpflichtend werden, auch wenn Ärzteverbände und Kassenärztliche Vereinigungen dagegen Sturm laufen. Auf die Basis hat man selten gehört – und mitunter ging das dann schief, wenngleich das in diesem wie auch in anderen Fällen den oder die Verursacher nicht stören dürfte. Den Ärger haben „die da unten“.